Ankunft – erste Eindrücke dieser Stadt
Nach Abschluss des Medizinstudiums war es bereits längere Zeit ein großer Wunsch von mir ein Volontariat im Ausland zu absolvieren. Austrian Doctors gab mir die Möglichkeit Einblicke in ihre Projekte in Dhaka/Bangladesch zu erlangen.
Nach Ankunft wurde ich von Babul, dem lokalen Geschäftsführer des Projektes, herzlich am Flughafen empfangen, um anschließend für drei Wochen an den Projektstandorten in Dhaka teilzuhaben. Der Rhythmus des Landes scheint aufgrund der warmen Temperaturen generell etwas anders als in Österreich. Obwohl es bereits nach 23:00 Uhr ist, sind die Straßen immer noch alles andere als menschenleer und es herrscht nach wie vor reger Verkehr. Babul bot mir an, die erste Nacht in ihrem Gästezimmer zu schlafen, da die weitere Autofahrt bis zum Projektstandort in Manda ein ganzes Stück vom Flughafen entfernt wäre. Obwohl es bereits sehr spät am Abend ist, lädt mich Babul noch zu sich nach Hause auf ein sehr spätes Abendessen ein. Ich lerne seine Frau, Mutter, den Schwiegersohn und seine Töchter kennen und probiere zum ersten Mal traditionelle Gerichte des Landes. Der Tisch ist gedeckt mit verschiedenen Currys, unterschiedlichstem Gemüse und Chapati – eine Art Fladenbrot.
Am nächsten Tag geht die Reise gleich nach dem Frühstück weiter. Wir nehmen uns ein Tuck-Tuck und machen uns auf den Weg nach Manda. Manda ist ein Stadtteil von Dhaka, der im Osten der Stadt liegt. Demnach geht es für uns einmal quer durch Dhaka vom Flughafen aus betrachtet. Bereits bei dieser ersten Tuck-Tuck fahrt kann ich viele Eindrücke über das Leben in der Stadt gewinnen. Die Fahrt führt uns über teilweise asphaltierte Straßen, überwiegend jedoch über welche mit nur Erdboden und riesigen Pfützen. Am Straßenrand sitzen teilweise Menschen, oder es sind kleine Stände aufgebaut, an denen Gemüse und Obst verkauft wird. Der Verkehr wirkt chaotisch und wir wechseln immer wieder die Straßenseite. Zu Beginn im Stadtzentrum auf den besser ausgebauten Straßen fahren neben den Rickschas und Tuck-Tucks auch viele normale Autos. Je näher wir Richtung Manda kamen, desto schmäler wurden die Straßen und auch normale Autos fand man hier kaum mehr. Neben den wenigen motorisierten Rikschas wurde die Mehrheit noch klassisch durch Fahrräder bewegt. „Eine Art, womit viele in dieser Gegend Geld verdienen“, erklärt mir Babul. Am Straßenrand liegt einiges an Plastikmüll und angesichts der überfüllten Straßen und schlechten Bodenqualität kann ich mir kaum vorstellen, wie wohl dieser Verkehr in den Regenzeiten bewerkstelligt werden kann. Insgesamt wirkt das Stadtbild sehr bunt – bunte Häuser in verschiedenen Farben, Rickschas und Tuck-Tucks in allen möglichen Farben, bunte Sonnenschirme über den Markttischen. Die Häuser sind überwiegend, wie so oft in größeren Städten, mehrstöckige Gebäude, jedoch mehrheitlich nicht fertig gebaut oder sehr stark sanierungsbedürftig. Ich bin überrascht wie viele Bäume und Palmen trotzdem immer wieder zwischen den Gebäuden stehen, was ich in einer derart großen Stadt wohl nicht erwartet hätte. Besonders chaotisch erscheinen mir die unzähligen Kabeln, die sich entlang der Straßen zwischen den Häusern über den Köpfen der Menschen spinnen.
Manda – Leben, Stadtblick und Schneiderei
Nach fast einer Stunde Fahrt erreichen wir unser Gebäude in Manda. Es ist ein sechsstöckiges Haus, indem sich das Medical-Center und sowohl eine der Schulen wie auch ein Trainingcenter befinden. Im obersten Stockwerk des Hauses befindet sich eine Wohnung und dort darf ich wohnen für die Zeit meines Aufenthaltes.
Im Trainingcenter werden den Jugendlichen und jungen Erwachsenen viele verschiedene Berufsausbildungsmöglichkeiten angeboten. Neben dem „Beauty Salon“ gibt es auch Computer Räume, eine Werkstatt und einige Räume um das Handwerk des/der Schneiders/Schneiderin zu erlernen. Während der Zeit meines Aufenthaltes bekam ich die Möglichkeit, Einblicke in die Schneiderei zu erlangen. Eines der traditionellen Kleidungsstücke der einheimischen Frauen ist das so genannte „Three-piece“. Es besteht aus einer weiten Hose, worüber ein nicht besonders enganliegendes Kleid getragen wird und einem Schal, der entweder über die Brust und/oder über den Kopf gelegt werden kann – also aus drei Stücken sozusagen. Wie üblich in diesem Land, werden dafür farbenfrohe Stoffe und blumige Stickmuster verwendet. In einem aufwendigen Prozess wird zuerst der Stoff geschnitten und anschließend präzise vernäht. Die Schneiderinnen dort vor Ort zeigen mir sämtliche Schritte die notwendig sind zur Herstellung dieser Kleidung. Ich bin sehr beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der sie die Näharbeiten in großer Präzision ausführen.
![Team der Schneiderinnen im Trainingcenter in Manda](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone9.jpg)
Die Arbeitswoche beginnt in Bangladesch an einem Samstag und endet am Donnerstag. Der Freitag wird in Bangladesch als Feiertag freigehalten. Praktischerweise ist meine Ankunft an einem Donnerstagabend, somit beziehe ich die Wohnung am freien Wochentag und kann den Tag noch etwas zum Eingewöhnen nutzen.
Wohnen
Bei Einsätzen in Dhaka dürfen die ehrenamtlichen Beteiligten die oberste Etage des Gebäudes in Manda beziehen. Dort befindet sich eine Wohnung mit beeindruckendem Ausblick über die Stadt. Während meines Aufenthaltes hatte ich zudem das Glück, dass Maya für mich nach meinen Wünschen lokale Gerichte zubereitete, auf die ich mich jeden Tag nach Ende meiner Tätigkeiten freute. Maya ist nicht nur eine sehr begabte Köchin, sondern auch ein herzensguter Mensch. Sie wusch auch meine Wäsche während dieser Zeit und als sie feststellte, dass der Gummibund einer meiner Hosen kaputt wurde, überraschte sie mich beispielsweise am Nachmittag mit einem reparierten Hosenbund.
![Bild1: Märkte auf den Straßen, Bild 2: Kochtalent Maya :), Bild 3: Seitenstraße](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone10.jpg)
Medizinische Projekte – vier Standorte quer durch Dhaka
Die Projektstandorte in Dhaka befinden sich in den ärmsten Vierteln der Stadt. Dort wird an sechs Tagen die Woche, in vier verschiedenen Vierteln medizinische Hilfe geboten: Manda, Korail, Khilgaon und Gandaria. Der Großteil der Menschen kann sich in diesen Regionen medizinische Versorgung nicht leisten.
Das Team besteht aus einem Pharmazeuten, einem einheimischen Arzt, und einer Krankenpflegerin, welche sowohl sämtliche administrativen Aufgaben übernimmt, sowie die Vitalparameter der Patienten erhob. Insgesamt gibt es derzeit zwei einheimische Ärzte, die abwechselnd die verschiedenen Projektstandorte betreuen.
Korail
Meine Arbeit beginnt also an einem Samstag in Korail. Korail ist eines der größten Armenviertel in Dhaka und wies die letzten Jahre nach Schätzungen ein rapides Wachstum auf. Auch nach intensiver Recherche erwies es sich für mich sehr schwierig aktuelle Erhebungen zur Bewohneranzahl dieses Stadtteils zu finden. In den 2017 veröffentlichen Zahlen von BRAC wird von 50.000 Bewohnern berichtet, vermutlich ist die Dunkelziffer jedoch sehr groß, wie das dichte Besiedelungsbild bereits vermuten lässt. (BRAC. (2017). Korail Factsheet. Retrieved in September 2017)
Am Morgen lerne ich den Pharmazeuten Saiful und die Krankenpflegerin Pushpa kennen. Gemeinsam räumen wir noch die Medikamente in Boxen und laden alles in das Auto ein. Anschließend fahren wir mit dem Auto Richtung Projektstandort. Auf dem Weg steigt einer der beiden Ärzte, Dr. Saed, ein. Die Autofahrt dauert länger als ich erwartet hätte, meine drei Kollegen teilen mir jedoch mit, dass ich heute besonderes Glück hatte mit dem Verkehr, denn an manch anderen Tagen dauert die Fahrt noch weitaus länger. Kurz bevor wir den Beginn von Korail erreichen, fahren wir durch das Bankenviertel von Dhaka. Überall sind Hochhäuser und Glasfronten, in den Schaufenstern sieht man diverse bekannte Markenstores. Das Straßenbild ist fast verstörend kontrovers verglichen zu allem anderem, was ich bisher von der Stadt zu Gesicht bekam. Nicht sehr viel weiter, einmal um die Ecke und über eine Brücke, und schon wirkte alles wieder wie gewohnt – chaotisch, Märkte und viele Menschen auf der Straße. Anstatt der Hochhäuser sehe ich kleine Hütten und Häuser, in denen Snacks und Fertiglebensmittel verkauft werden. Korail kann man sich vorstellen, wie eine Art Stadt in der Stadt. Das Auto müssen wir ein Stück entfernt bereits abstellen, da schon bald die Straßen so eng und verwinkelt werden, dass man diese, wenn überhaupt nur noch mit einer Rikscha passieren kann. Es kommen uns Männer entgegen, die am Oberkörper keine Kleidung tragen oder nur in ein Tuch eingewickelt sind. Am Rand der Straße sind kleine Geschäfte oder so eine Art Cafes in denen der lokale „Bangla Tee“ verkauft wird. Mir fällt ein entgegenkommender Junge auf, der zwei Wasserkübeln die Straße entlang schleppt. Immer wieder sieht man auch Menschen am Boden sitzen und Blätter verkaufen, diese werden als eine Art Tabakersatz konsumiert. Die Mehrheit der kleinen Lebensmittelgeschäfte verkaufen Obst und Gemüse oder es werden Samosas und Shingaras in großen Öl-Töpfen angebraten. Neben all den Menschen entlang der Straße liegt wieder einiges an Plastikmüll.
Nach ca. 10 Minuten Gehzeit und der Passage von einigen Kreuzungen erreichen wir die Schule, in der wir auch die medizinischen Behandlungen durchführen. Zuerst bekomme ich von Babul eine Führung durch das Gebäude. Die Wände sind alle bunt bemalt mit Tieren und Sprüchen. An der Hinterseite des Gebäudes gibt es sogar einen kleinen Innenhof, der als kleiner Pausenspielplatz für die Kinder gerichtet wurde.
Jene Patienten, welche zur Behandlung kommen, müssen sich zuerst bei der Anmeldung registrieren. Dies wird von Pushpa übernommen. Sie dokumentiert jeden einzelnen Patienten in einem großen Buch und zusätzlich bekommen die Patienten eine „Health Card“. Die Health Card ist sozusagen ihre Gesundheitsakte. Dort werden von den behandelnden Ärzten die Diagnosen niedergeschrieben und auch die Behandlung notiert. So kann man später immer wieder nachvollziehen, was bereits gemacht wurde. Die Health Card wird bei bereits bekannten Patienten vom Patienten selbst mitgebracht und bei jenen, die zum ersten Mal zur Behandlung kommen, neu ausgestellt. Puspha übernimmt auch die Erhebung sämtlicher Vitalparameter, wie beispielsweise Gewicht und Blutdruck. Diese werden ebenfalls in der Health Card notiert. Besonders bei Kindern stellt die regelmäßige Gewichtskontrolle eine wichtige Maßnahme dar.
Die Mehrheit der Patienten kommt wegen „all pain“, Müdigkeit und Erschöpfung, Mangelernährung, Infektionen oder diversen Hautproblemen. Gerade bei ansteckenden Erkrankungen stellt die Behandlung eine Herausforderung dar, da ausreichende Hygienemaßnahmen nicht immer bewerkstelligt werden können. Auch Tropenkrankheiten wie Dengue Fieber gehören in das Repertoire. Dr. Saed erklärt mir, dass gerade jetzt in der Regenzeit das Infektionsrisiko besonders hoch wäre und in dieser Region zu dramatischen Verläufen bei vor allem Kindern geführt hätte.
Manda
An drei Tagen wird in Manda am Projektstandort medizinische Hilfe angeboten. Auch hier funktioniert das System in ähnlicher Art und Weise. Die Patienten werden zuerst angemeldet, die Vitalparameter erhoben und warten anschließend im Wartebereich auf ihren Arzttermin. Die medikamentöse Therapie wird ebenso in den Health Cards notiert. So können die Patienten direkt nach dem Arztgespräch zum Pharmazeuten einen Raum weiter gehen, wo sie die notwendigen Medikamente erhalten.
Besonders dramatisch bleibt mir eine Situation mit einer Patientin in Erinnerung, die sich wegen Schwäche und Schwindel vorstellt. Die junge Dame kommt sehr blass in die Ordination und teilt uns mit, dass sie vor ein paar Tagen ihr viertes Kind gebar. Aufgrund ihres jungen Alters mit gerade mal 20 Jahren frage ich sie, wann sie denn ihr erstes Kind bekam – mit 12 Jahren. Während der Untersuchung wird ihr immer wieder schwindelig und ein aufrechtes Sitzen ist nahezu nicht möglich. Aufgrund ihres Zustandes entschließen wir, sie in das nächste Krankenhaus zu bringen. Obwohl ihr mehrfach versichert wird, dass sie die Kosten für diesen Aufenthalt nicht tragen muss und es angesichts ihres schlechten Allgemeinzustandes mehr als notwendig ist, wollte sie absolut nicht mitfahren. Pusphu kann sie schlussendlich überzeugen und begleitet sie mit dem Auto in Richtung Krankenhaus. Vorerst müssen sie jedoch noch einen kurzen Stopp am Weg einlegen, um eines ihrer vier Kinder, dass an diesem Tag zur Untersuchung dabei war, bei ihrem Ehemann und ihrer Schwiegermutter zu Hause abzuliefern. Die Patientin wäre ohne sich selbst zu vergewissern, dass ihr Kind bei der Familie ist, nicht mit ins Krankenhaus gekommen. Der Ehemann und die Schwiegermutter erlauben der jungen Dame jedoch nicht sich im Krankenhaus behandeln zu lassen und auch sämtliche Überredungsversuche und Argumente der Dringlichkeit können den Entschluss der Angehörigen nicht umstimmen. Ich frage mich bis heute, was aus der Patientin wohl geworden ist.
Gandaria
Gandaria liegt im Süden von Dhaka und wird an zwei Tagen der Woche von dem medizinischen Team besucht. Die Menschen leben dort entlang der Bahngleise, die innerhalb der letzten Jahre zunehmend ausgebaut wurden.
Auf dem Weg zum Eingang der Gandaria Schule befinden sich einige Garagen. Babul kennt die Leute, die in diesen Gebäuden arbeiten. Einmal sehen ich eine Art Minifabrik in der Autoteile bearbeitet werden und als wir in ein anderes Gebäude gehen, sehe ich eine Frau und einen Mann, die eine Art Medaille fertigen. Der Mann sitzt am Boden und fädelt alle Metallplättchen, welche die spätere Medaille darstellen, auf einen Draht, während die Frau am Schreibtisch nebenan die beinahe fertigen Stücke von Hand bemalt. Das Motiv zeigt einen Fußballspieler und auf Nachfrage wird mir erklärt, dass diese nach Europa verkauft werden würden.
Bei der Arbeit in Manda und Gandaria lerne ich Dr. Mokhles kennen, der dort die Patienten seit bereits längerer Zeit betreut und sehr viel über seine Patienten berichten kann.
Viele Menschen dort kommen mit Typ 2 Diabetes zur Sprechstunde. Zu Beginn war ich darüber sehr überrascht, denn die Auswahl an Obst und Gemüse ist dort wirklich beeindruckend. Der Großteil der billigen Fertigprodukte jedoch sind mit sehr viel Zucker versehen. Hochwertiges Brot finde ich in dieser Region gar nicht, dafür jedoch einige verpackte Arten von Kuchenzubereitungen und Teig, welcher im Öl frittiert wurde. Auch die Milch, die dort in Metalldosen zugekauft werden muss, um sie dann für die Tee Zubereitung zu verwenden, ist massiv gezuckert. Generell erscheint es mir, als würden die Menschen dort nicht wirklich wissen, welche Konsequenzen aus einem derart intensiven Zuckerkonsum resultieren. Alternativen sind dafür wohl jedoch auch nicht vorhanden.
Die mit Abstand größte Gruppe an Patienten, waren jene die wegen Juckreiz zu uns kamen. Fast alle litten entweder an einer Pilzinfektion, Skabies oder sogar an beidem. Auch hier stellte sich die Durchführung der notwendigen Hygienemaßnahmen teilweise als schwierig heraus, da die Menschen in großen Familienverbänden zusammenleben.
Mir wird bewusst, dass die Aufteilung der drei Projektstandorte an drei unterschiedlichen Orten in Dhaka eine besonders wichtige Rolle spielt, da sich der Großteil dieser Patienten die langen Fahrten quer durch die Stadt gar nicht leisten könnten.
Khilgaon
Die Behandlungsräume in Khilgaon befinden sich in einer Art Innenhof entlang einer eher lokalen Straße. Verglichen mit Korail und Gandaria wirkt es in Khilgaon fast so, als würde viel Infrastruktur vorhanden sein. An der Straße entlang gibt es kleine Geschäfte und wieder einige lokale Gemüse- und Obstmärkte. Das Krankheitsspektrum ist jedoch ähnlich wie in den anderen beiden Regionen.
![Bild 1: Patientenadministration in Khilgaon durch Pushpa, Bild 2: Im Gespräch mit Dr. Mokhles in Gandaria, Bild 3: Junge Patientin in Khilgaon](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone11.jpg)
Schulprojekt in Manda – viele lachende Gesichter
Einige Zeit verbringe ich auch in Manda in der Schule. Ich lerne das Team sämtlicher Lehrer kennen und bekomme von Miss Rajna, einer Lehrerin der Schule, eine Führung durchs Gebäude. Die Schüler sind sehr beschäftigt, da gerade Prüfungswoche ist. Trotzdem freuen sie sich über meinen Besuch und winken mir vom Klassenzimmer zu. Babul und Miss Rajna stellen mich in sämtlichen Klassenzimmern vor und manche Schüler erzählen mir von ihren Unterrichtsfächern. Es werden dort verschiedene Altersgruppen unterrichtet. Da diese Kinder aus sehr armen Verhältnissen entstammen waren viele noch nie bei einer routinemäßigen ärztlichen Untersuchung. Wir beschließen zur Prävention bei den Kindern eine Art Schuluntersuchung durchzuführen. Die Kinder und vor allem die Eltern freuen sich sehr darüber. Wie auch bei den medizinischen Projekten erfassen wir die Untersuchungsergebnisse der Schüler in den Health Cards. Nach abgeschlossener Untersuchung bekommen die Kinder zur Belohnung eine Banane. Die Freude ist sehr groß. Für mich ist es sehr bewegend zu beobachten wie geduldig und freudig diese teilweise noch sehr jungen Kinder (die jüngsten sind ca.6 Jahre alt) auf die Untersuchung warten. Die Motivation ist groß, schließlich gibt es eine Banane zur Belohnung. Für uns mag dies sehr selbstverständlich klingen, dort wurden derartige Gesten jedoch sehr geschätzt.
Ein schönes Erlebnis war für mich auch die Teilhabe an der Mittagspause. Die Schüler erhalten täglich eine warme Mahlzeit, die von den Lehrern ausgegeben wird. Hierzu muss ich wohl kaum etwas erzählen, die lächelnden Gesichter auf den Bildern sprechen wohl für sich.
![Gute Stimmung während der Mittagspause in der Schule in Manda](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone5.jpg)
Die Schüler machen auf mich einen sehr engagierten Eindruck. Es scheint so, als wäre es ihnen bereits von sehr jungen Jahren an bewusst, dass dies die einzige Chance auf eine bessere Zukunft darstellt.
Freizeit, Ausflüge und Alltag – zwischen schönen Erlebnissen und trauriger Realität
An meinen freien Tagen nutze ich die Zeit und erkunde etwas das Land. So ergibt es sich für mich, dass ich einmal mit Babul einen Ausflug südlich von Dhaka nach Munshiganj mache und ein weiteres Mal mit einem kleinen Team der Schule für ein Schulprojekt mit in die ca. 110km von Dhaka abgelegenen Vororte von Comilla fahre.
Munshiganj
Der Tagesausflug nach Munshiganj beginnt mit einer Zugfahrt. Für mich ein Highlight zu sehen, wie der öffentliche Verkehr in Bangladesch bewerkstelligt wird. Da die Züge sehr überfüllt sind, bin ich froh, dass wir bereits sehr frühzeitig am Bahnhof auf unsere Zugverbindung warten. Das Ein- und Aussteigen ist extrem stressig – es wird gedrängt und kaum Rücksicht aufeinander genommen. Die Plätze sind sehr begrenzt und keiner möchte auf den nächsten Zug warten müssen. In Munshiganj angekommen besichtige ich den lokalen Markt und unternehme eine Fahrt durch den Ort. Wieder bekomme ich die Möglichkeit verschiedenes lokales Essen zu probieren. Der Weg zurück nach Dhaka war für mich ein weiteres Highlight dieses Ausfluges. Bangladesch ist bekannt als Land der vielen Flüsse – zu Recht, denn ein großer Teil der Staatsfläche des Landes ist Wasser. Trotzdem kommt es gerade in den Trockenperioden immer wieder zu einer Wasserknappheit, allen voran ein Mangel an trinkbarem Wasser. Diese wird vorwiegend durch die gravierende Verschmutzung begründet. Hinzu kommt der Klimawandel, welcher gerade in Bangladesch verheerende Spuren hinterlässt. Zur Monsunzeit wird das Land durch massive Überflutungen belastet, welche vielen Menschen sämtliche Lebensgrundlage nehmen. Unser Boot ist mehrstöckig und wird von den Einheimischen als Transportmittel verwendet. Die Strecke, die dieses Boot zurücklegt, scheint wohl länger zu sein, da in der untersten Etage viele Menschen am Boden auf Decken liegen. Es scheint, als würden diese bereits seit geraumer Zeit hier schlafen. Weiter oben finde ich Schlafkabinen, aus Kostengründen sind diese jedoch für den Großteil der Einheimischen nicht realisierbar. Das Wasser des Flusses, in dem wir uns fortbewegen, ist bräunlich und stark verschmutzt. Immer wieder beobachte ich vorbeitreibende Plastiksäcke und Flip-Flops. Die neben uns fahrenden Boote sind massiv überladen. Zu Beginn wundere ich mich über deren Aussehen – niedrig und beinahe einlaufendes Wasser. Später bemerke ich, dass diese eigentlich riesigen Schiffe nur so weit eingesunken sind, durch die schwere Fracht. Das Flussufer ist an beiden Seiten zugebaut mit großen Firmen aus denen teilweise schwarze Rauchwolken emporsteigen. Zwischen den riesigen Frachtschiffen sieht man auch immer wieder kleine Fischerboote auf denen ein bis zwei Männer sich mit einem Paddel fortbewegen. Sobald mich jemand der Einheimischen am Nachbarschiff entdeckt, werde ich üblicherweise verwundert angestarrt. Es wirkt, als würden sie hier nicht all zu oft Besucher aus anderen Ländern antreffen.
Chittagong
Auch die Region um Comilla ist eine der Regionen, die zur Monsunzeit besonders unter den Folgen der Überschwemmungen leiden. Aus diesem Grund meldeten sich zwei besonders engagierte Schüler der Schule in Manda im Rahmen eines Schulprojektes in dieser Region Hilfe zu leisten. Ich darf die beiden Schüler und zwei Lehrer begleiten und bekomme Eindrücke über das Leben außerhalb von Dhaka. Direkt in der Nähe von Flüssen gelegen steigt der Wasserspiegel bei starken Regenfällen in den Siedlungen am Land bedrohlich an. Die Menschen, die wir besuchen zeigen uns ihre Häuser und berichten von den Folgen des Hochwassers, mit denen sie konstant konfrontiert sind. Die Überflutungen zerstörten die Häuser der Menschen, sowie es der Landwirtschaft schwer zusetzte. Die Felder wurden unbewirtschaftbar, viele der Nutztiere ertranken, sowie die Ernte zerstört wurde. Die Menschen in diesen Regionen verfügen nicht über die finanziellen Möglichkeiten derartige Verluste auszugleichen. Selbst nach Rückgang der Überschwemmungen bleiben stark verschlammte Flächen zurück, die nicht mehr verwendet werden können. Oftmals entstehen durch die extremen Verschmutzungen in Kombination mit dort verbleibenden Tierkadavern sehr unhygienische Zustände, wodurch Krankheiten in weiterer Folge entstehen. Diese Menschen haben jedoch kaum oder garkeinen Zugang zu medizinischer Hilfe. Infrastruktur ist in dieser Region auch kaum vorhanden. Die Menschen leben unter erschreckenden Umständen: in kleinen Hütten, gebaut zumeist aus Welleternit, auf viel zu engem Raum. Der Boden ist schlammig und überall liegt Müll. Die Kleidung der Menschen ist kaputt und dreckig, trotzdem begegnen uns sämtliche Menschen mit einem freundlichen Lächeln und führen uns durch ihre Siedlungen. Die Kinder und Jugendlichen sind besonders begeistert von unserem Besuch. Es kommt wohl nicht all zu oft vor, dass andere Menschen in dieser Region zu Besuch kommen. Die Verständigung mit mir funktioniert mit Händen und Füßen oder ich habe das Glück und einer der beiden Schüler übersetzt für mich auf Englisch. Die Kinder sind begeistert von der Möglichkeit fotografiert zu werden. Ich mache mit dem Handy einige Portraitfotos und zeige sie ihnen am Bildschirm. Die Aufregung ist riesig. Ich wünsche mir sehr, diese eines Tages ausgedruckt vorbeizubringen.
![Besonders am Land leiden die Menschen unter den Folgen von Überschwemmungen](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone7.jpg)
Geburtstag
Zufälligerweise fällt auch mein Geburtstag in die Zeit meines Aufenthaltes. Eigentlich habe ich mir von diesem Tag nicht besonders viel erwartet und bin wie an jedem anderen Tag auch zu einem der medizinischen Standorte mitgefahren. Nach Ende unserer Tätigkeit fahren wir nach Manda zur Schule, da ich an diesem Tag nochmal ein paar Fotoaufnahmen von der Gegend machen will. Als wir den Speisesaal betreten, verschlägt es mir die Sprache. Babul und das gesamte Lehrerteam hat, ohne dass ich es mitbekommen hätte, eine Überraschungsparty für mich organisiert. Alle singen für mich, der Raum ist dekoriert mit Luftballons und an der kurzen Seite der Tischreihe steht ein Kuchen mit Kerzen und meinem Namen. Ich wurde von all meinen neu gewonnen Freunden beschenkt und erhielt Blumen. Es wurde von den Näherinnen sogar eigens für mich ein lokales Kleidungsstück gefertigt. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich noch nie zuvor eine derart große Geburtstagsüberraschung erlebt habe. Diesen Tag werde ich wohl nie vergessen. Der Zusammenhalt zwischen den Menschen in diesem Land überwältigt mich sehr.
Herausforderungen
Es ist teilweise nicht einfach Informationen und Zahlen zur Bevölkerung in Bangladesch zu finden. Die Dunkelziffer scheint groß zu sein, so wie von Österreich aus lokale Internetseiten aus Bangladesch auch häufig blockiert sind. Dies führte bereits bei meinem Visumsantrag zu Schwierigkeiten. Kurz vor meiner Ankunft in Dhaka gab es große politische Veränderungen im Land, was zu Unruhen und Protesten führte. Dies verschärfte die Situation mit den nicht zugänglichen Onlineseiten. Während meines Aufenthaltes versuchte ich die Ansichten der Einheimischen bezüglich ihrer politischen Situation zu verstehen. Persönlich fühlte ich mich jedoch niemals eingeschüchtert durch damit in Zusammenhang stehenden Situationen und empfand die Stimmung zumindest in den Gegenden, die ich zu Gesicht bekam durchwegs friedlich. Da es für mich jedoch der erste Aufenthalt in diesem Land war, habe ich diesbezüglich keinen Vergleich. Oftmals wurde ich zu Hause gefragt wie denn die Verständigung funktionierte. Zum einen versuchte ich vom ersten Tag an, die Sprache etwas zu lernen und auch Babul bemühte sich sehr mir immer mehr neue Wörter beizubringen und wiederholte diese mit mir beinahe täglich. Zum anderen gab es oftmals die Möglichkeit eines Übersetzers. In der Schule beispielsweise war einer der Lehrer, Mr. Rouf, so nett und übersetzte bei meiner Arbeit mit den Kindern. Die restliche Zeit, vor allem auch nach meiner Beschäftigung und wenn ich allein war, versuchte ich mich mit den wenigen Wörtern und Sätzen in Kombination mit Händen und Füßen zu verständigen. Im Grunde war ich jedoch positiv überrascht, wie gut die Verständigung immer wieder funktionierte, auch ohne zusätzliche Unterstützung. Dies war wohl jedoch auch durch die enorme Geduld und das Interesse der Einheimischen an mir begründet.
Resümee - was am Ende bleibt…
Wieder zu Hause in Österreich angekommen bleiben unzählige Erinnerungen an all die Bekanntschaften, die ich dort geschlossen hatte und die vielen Situationen und Erlebnisse, die mich persönlich bewegten. Dieser Bericht bietet nur kleine Ausschnitte dieser Erlebnisse und es gäbe noch einiges zu erzählen.
Der Aufenthalt in Dhaka hat meine Sichtweise auf Dinge verändert und ich kann vieles zu Hause nun noch mehr schätzen. Es ist ein Luxus die Möglichkeit zu haben, den Wasserhahn aufzudrehen und sauberes Trinkwasser trinken zu können, so wie es ein Luxus ist, sich über Kleinigkeiten beschweren zu können.
Es gab viele sehr bewegende und schöne Erlebnisse, die geprägt waren durch die ausgesprochene Gastfreundschaft und Höflichkeit der Menschen, der Stolz, mit dem sie mir versuchten, ihre Traditionen näher zu bringen und die unendliche Wertschätzung und Dankbarkeit, die mir von sämtlichen Einheimischen für meinen Aufenthalt dort entgegengebracht wurde. Allen voran bewegte mich ihr Bemühen, mich in ihrem Land zu Hause zu fühlen. Trotz der schwierigen Lebensumstände sind die Menschen in Bangladesch sehr humorvoll und brachten mich regelmäßig zum Lachen.
Manche Tage und Situationen jedoch stimmten mich nachdenklich und ich fühlte mich immer wieder mal enttäuscht, frustriert, traurig oder hilflos – vor allem dann, wenn man mit Dingen konfrontiert ist, die man akzeptieren muss, ohne daran etwas ändern zu können.
Ich würde lügen zu sagen, dass ein Aufenthalt in Bangladesch jeden Tag Freude bereitet. Die extreme Luftfeuchtigkeit in Kombination, mit der für uns sehr ermüdenden Hitze macht Kleinigkeiten anstrengend und durch das viele Schwitzen fühlte ich mich oft unwohl. Außerdem resultierte die Hitze in vielen schlaflosen Nächten und führte zu noch anspruchsvolleren Tagen. Hinzu kommt der Müll, der Gestank und die Armut der Menschen um einem herum – als junge Frau nicht die Möglichkeit zu haben zu jeder Tages- und Nachtzeit sich frei bewegen zu können. Doch all diese Dinge, die für uns in Österreich/Europa selbstverständlich sind, sind in anderen Teilen der Welt alles andere als alltäglich. Und genau diese Dinge die ich als ungewohnte Herausforderung und Einschränkung empfand, sind der Alltag von tausenden von Menschen.
Ich bin sehr dankbar diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen und hoffe sehr, dass sich mir die Zeit und Möglichkeit in meiner weiteren medizinischen Laufbahn bieten wird, nach Dhaka zurückzukehren.
Liebe Grüße,
Simone
![Abschiedsgeschenk einer Schülerin und viele schöne Erinnerungen](https://www.austrian-doctors.at/wp-content/uploads/2024/12/Simone8.jpg)