Ursula berichtet von ihrem Einsatz in Bangladesch

Ich habe mich von unglaublich freundlichen Menschen wo auch immer angenommen gefühlt und viel von ihnen gelernt in dieser so anderen Kultur.

Hier ein kleiner Bericht zu meinem ehrenamtlichen Arzteinsatz in Dhaka, Bangladesch:

In den letzten Jahren war ich wiederholt in sechs Wochen Einsätzen mit German Doctors (Nairobi, Südkenia, Kalkutta, Philippinen) als Ärztin für Allgemeinmedizin. Überall ging es um „primary health care“ für die Ärmsten der Armen.

Hier in Dhaka war unsere Aufgabe, ein altes Projekt zur medizinischen Basisversorgung von Menschen im Slum nach einigen Jahren Pause zu reaktivieren. Schon einige Monate hatten zwei Bangladeschärzte in unterschiedlichen Slumambulanzen die Arbeit für diese Patientengruppe mit z T hohen Patientenzahlen geleistet.

Wir wurden überaus freundlich aufgenommen und betreut, hatten eine schöne Wohnung im siebten Stock (mit Aufzug). In den unteren Stockwerken  sind Trainingscenter für einfache Berufsausbildungen und einige Schulklassen der Manda Schule untergebracht. Im ersten Stock befindet sich eine der insgesamt vier Ambulanzen der Austrian Doctors. Aki, eine sehr liebevolle junge Frau mit perfekter Beherrschung der Bangla/Englisch App kochte, putzte und wusch für uns. So hatten wir mit ihr eine saubere Oase zum Wohnen.

Die unterschiedlichen Ambulanzplätze in den Slums wurden im Verlauf unseres 5 Wochen Aufenthalts zunehmend sauberer, denn die Mitarbeiter nahmen unsere Erklärungen zur sinnvollen Änderung sehr gut an und unterstützten uns super bei der Umsetzung. Es konnte ein guter Hygienestandard erreicht werden.

Wir erfuhren und mussten im Einsatz berücksichtigen, dass unsere Patienten häufig Analphabeten sind und Eigenverantwortlichkeit ganz anders wahrnehmen als wir das gewohnt sind. Sie leben oft ohne Arbeit oder als Tagelöhner und sind zeitweilig auch ohne Unterkunft. Sie sind gefordert, einfachstes eigenes  Überleben von sich und ihren Nahen zu schaffen. Das regelmäßige Einnehmen von Medikamenten, sinnvolle diätetische Maßnahmen, ausreichende Ernährung, Kleiderwechsel, Waschen in sauberem Wasser, Eincremen sind häufig nicht machbar oder finanzierbar. Arbeitsschutz gibt es fast nicht. Es gibt auf dem Arbeitsmarkt so viele junge zur Verfügung stehende Menschen, dass die Arbeitenden sich einfügen und aushalten müssen, statt sich wehren oder eigene Bedürfnisse wichtig nehmen zu können. So erscheint es uns ganz wichtig, die Patienten ihre Lebenssituation schildern zu lassen, sie dann annehmend und einfühlend nach ihren Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Situation und dem Umgang mit den gegebenen Erkrankungen zu fragen und sie das entwickeln zu lassen. Kleine Anregungen wurden dann gerne aufgegriffen, wie sich in Nachfolgeterminen zeigte. Es geht um die Bestärkung einer Selbstverantwortungsübernahme, möglichst Kommunikationsangebote auf Augenhöhe, Stichwort „Empowerment“. Ich lernte so sehr viel von den Patienten und auch den Mitarbeitern. Sie zeigen Ausdauer und Kraft, behalten Lebenswillen in schwierigsten Umständen und lassen sich auf Begegnungen mit neuen Anforderungen ein, wenn sie sich individuell wahrgenommen erleben. Auch die Bangladeschi-Ärzte, die sich anfangs sehr verschlossen und zurückhaltend gegenüber uns weiblichen älteren Ärztinnen zeigten, tauten im gemeinsamen Arbeiten zunehmend auf, wurden offener und lockerer. So konnten wir miteinander trotz deutlich unterschiedlicher Kulturen lachen, Untersuchungstechniken austauschen und uns zu Patientenfällen besprechen.

Themen, die immer wiederkehrten:

  • Diabetesernährung bei Dauerhunger und z T nicht Bezahlbarkeit von >1 Ei/Woche und eher preisgünstigen gewohnten schlechten Kohlenhydraten.
  • Scabiestherapie bei beengtem Wohnen und Schlafen, Nichterreichbarkeit der Therapie aller in der Hausgemeinschaft Lebenden
  • Tineabehandlung bei Dauerschwitzen in Synthetikkleidung und nötiger langdauernder kontinuierlicher medikamentöser Therapie
  • Hypertonietherapie bei Dauerstress
  • Rumhängen und Essen als wichtig erlebte Entlastungsstrategien im Alltag
  • Wunsch nach Schmerzmedikamenten und Magenmitteln zur schnellen Entastung statt erst einmal anstrengender achtsamer Umstellung der Ernährungs-, Bewegungs-, und Lebensgewohnheiten im möglichen Maß
  • übergroße körperliche und psychische Dauerbelastung vieler Frauen und Mädchen
  • fehlende Wertschätzung, fehlende Förderung, fehlende Entlastung der Frauen/Mütter
  • Anpassung und Erduldung der gegebenen Hierarchien

 

Es gibt Kinderhochzeiten trotz gesetzlichem Verbot, frühe Schulabbrüche und Akzeptanz von verbotener oft aus der Not geborener Kinderarbeit. Es gibt unglaublich viele Tabus in dieser patriarchalen muslimischen Gesellschaft. Oft sind die Ehemänner über Jahre weg im Ausland beschäftigt, dann leben die Frauen mit ihren Kindern alleine oder in der Familie des Mannes mit erwarteter Anpassung und Entrechtung der Frau. 

Basismedizinische Hilfe ist nur sinnvoll möglich in einem ganzheitlichen Ansatz. So ist die Verbesserung der Bildung der Menschen im Slum hochwichtig. Es macht so große Freude, die Gemeinschaft der Kinder in den Austrian Doctors Schulen mit ihren Lehrern zu erleben. Die Schulen sind eine Wohlfühlstätte voller Chancen, wirken wie eine Oase für beide Geschlechter in Koedukation. Einige ehemalige Schüler sind jetzt Lehrer dort. Im Ansatz ist dort schon stimmige Sozialarbeit gegeben.

Die Vernetzung mit gesundheitsförderlichen/sozialen Einrichtungen vor Ort auszubauen wäre natürlich aus meiner westlichen Sicht sehr schön, aber ich ahne viele, viele Stolpersteine und andere Hindernisse.

Mir hat die Arbeit in Dhaka sehr viel Spaß gemacht, auch wenn mir die Arbeit viel abverlangte. Ich habe viel gelernt. Als fokussierte zielorientierte Deutsche wollte ich viel erfahren, lernen, sortieren und auf den Weg bringen; aber es braucht Zeit, ich konnte mich hoffentlich ausreichend bremsen.

Zusammen mit meiner lieben pädiatrischen Kollegin Gertrud konnten wir einiges erreichen: Wir haben Geräte zum Laufen gebracht, Mitarbeiter in die Entwicklung des Projekts einbezogen und sie schätzen gelernt, sie liebgewonnen. Wir haben unterschiedliche Infomaterialien zur Schulung erstellt, Medikamentenlisten auf den Weg gebracht, Hygieneschulungen gemacht.

Ich habe mich von unglaublich freundlichen Menschen wo auch immer angenommen gefühlt und viel von ihnen gelernt in dieser so anderen Kultur. Ich beende den Einsatz mit viel Demut und Respekt für die Menschen, die hier ständig leben und an ihrer Zukunft weitgehend zuversichtlich arbeiten.

Last but not least: Babul, der zuständige Koordinator und Manager der Projekte in Dhaka, war extrem unterstützend, hilfreich und liebevoll an unserer Seite, auch als Gastgeber und Reisebüro/-leiter wirkend. Dankeschön!

Alles liebe,
Ursula

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