Eindrücke aus dem Einsatz in Chittagong, Bangladesch

„Menschen, Menschen, Menschen…Chaos auf den Straßen“ – Bericht von Rosemarie Pichler

Die steirische Lungenfachärztin Dr. Pichler ist nach zwei Kalkutta-Einsätzen nun das erste Mal in Bangladesch, nämlich in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Chittagong. Hier lesen Sie ihre persönlichen Eindrücke:

„Menschen, Menschen, Menschen… Chaos auf den Straßen. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, ob Linksverkehr herrscht- auch nicht auf den 2. und 3. Blick. Die Unterkunft ist spartanisch, meine beiden Kolleginnen teilen sich ein Zimmer (die Ärztewohnung wird gerade um- und ausgebaut). Ich habe Glück allein ein Zimmer zu bekommen. An den Alltag muss ich mich rasch gewöhnen, denn viele warten in der Ambulanz des MCPP (Medical Centre for the Poorest of the Poor). Eingeführt wird man von der Kollegin, die seit zwei Wochen hier ist.

Ich hoffe, einiges medizinisch erarbeitetes Wissen aus meinen beiden Kalkutta Einsätzen aus meinen tief vergrabenen Erinnerungen zurück ins Gedächtnis rufen zu können. Gelingt!Manches scheint jedoch auf den ersten Blick anders: ich sehe wesentlich mehr  ausgemergelte junge Mütter mit einem für ihr Alter zu kleinen Kind auf der Hüfte, das Geschwisterkind auch noch klein, aber schon gehend, müde, schlapp, mit Fieber am Abend, Kreuzschmerzen….wen wundert’s.

An einem Samstag begleiten wir die Sozialarbeiterin in einen Slumbezirk. Sie spürt Menschen auf, die Hilfe brauchen und sich keinen Arztbesuch leisten können. Die „Wohneinheiten“ (wenn man diese überhaupt so nennen kann) sind teuer, klein, finster und werden von kinderreichen Familien bewohnt. Für 10 Wohneinheiten gibt es ein WC für Frauen, eines für Männer. Für einen 20 Liter Kanister sauberes Trinkwasser pro Familie und Tag muss man bezahlen, wenn man kann. Elektrizität gibt es, ist teuer, oftmals fällt der Strom aus. Die vielen Kinder kann man kaum zählen. Spätestens jetzt verstehen wir drei Kolleginnen, warum die Frauen, die wir in den Ambulanzen sehen, müde, ausgemergelt und krank sind. Sonnenstrahlen verirren sich nicht in diesen Blechhütten-Dschungel.

Schlecht fühle ich mich, wenn ich sehe, mit welcher Geduld die Sozialarbeiterin die Einladungskarten für die Ambulanz schreibt und wie wenig Zeit ich am nächsten Tag habe, um mir die Krankengeschichte von Bengali nach Englisch übersetzen zu lassen, zu untersuchen und zu behandeln…

Schlimme Schicksale gibt es in ausreichender Zahl: z.B ein 4-jähriger taub(stummer) Bub mit fehlendem linken Ohr, das rechte deformiert und tief auf der Wange sitzend. Eine 31-jährige Mutter mit 3 Kindern, nun mit Zwillingen schwanger. Eine 26 jährige Frau im Rollstuhl, vor 3 Wochen, mit einer glühenden Eisenstange von ihrem Mann kurz und klein geschlagen, nun querschnittgelähmt mit tiefen Verbrennungswunden an Hüfte und Kreuzbein. Sie hat 5 Kinder, das Kleinste ist 7 Monate alt. Ob diese Mutter überlebt? Man soll die Hoffnung nicht aufgeben!

Noch eine traurige Geschichte: Mutter von 4 Mädchen- wieder hochschwanger – spürt seit 2 Tagen keine Kindsbewegungen. Ich schicke sie ins Spital. 2 Tage später kommt sie mit einem Neugeborenen  im Arm (1800 Gramm  schwer) wieder. Will das Baby nicht behalten- es ist das 5.Mädchen. Wahrscheinlich hat sie bis zur letzten Sekunde gehofft, einen Buben zu bekommen.

Die Liste  der Geschichten ist beliebig fortführbar. Der Lichtblick in all diesem Elend? An einem Tag drei Patienten, die mich anlachen! Was wäre mit all den vielen Patienten, wenn German Doctors nicht unermüdlich versuchten, ihnen Hilfe angedeihen zu lassen? Dies wahrscheinlich auch meine Motivation, immer wieder meine Kräfte zur Verfügung zu stellen.“

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